Wir und die anderen - können wir unsere Gene überwinden?

Hallo an alle! Der letzte Post war wie ein kleiner Befreiungsschlag. Wochenlang hatte ich kein richtiges Konzept gefunden und wollte schon aufgeben, und dann kam der Moment, wo endlich alles zusammenpasste. Als der Post online war, kam eine innere Ruhe, die ich schon lange nicht mehr hatte. Es ist spannend zu sehen, wie dieser Kanal ein bisschen mein Leben verändert. Es hilft ungemein, das Erlebte und Wahrgenommene hier zu verarbeiten. Auch möchte ich Danke sagen für die ersten Abos. Das gibt mir das Gefühl, nicht alleine zu sein. Wie ein roter Faden durch diesen Kanal zieht sich, dass meine Themenpläne von der Realität einfach überholt werden. Ich hatte ein Konzept und jede Menge Quellen, aber Arbeit und Krankheit haben mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mein Kopf schwirrt immer noch ein bisschen, weswegen ich mich langsam den unterschiedlichen Themen nähern werde und die eigentlich aktuell gewesenen Themen in spätere Posts verschieben muss. Die Dinge müssen raus aus meinem Kopf, aber hoffentlich etwas geordnet. Fangen wir in diesem Post mit einem ersten Einblick in “Eine Kurze Geschichte der Menschheit” an.¹ Dieses Buch hat zu viele Denkanstöße, um sie alle in diesem Post abzufrühstücken. Um mal etwas Chronologie in die Themen zu bekommen, fangen wir am Anfang an und schauen, ob wir Motive finden, die uns noch in der heutigen Zeit begleiten und uns vielleicht die Augen öffnen für unser Zusammenleben.

Wie Menschen zusammenleben - oder eben nicht Wenn ich mir die heutige Zeit anschaue, in einer Welt, wo sich Menschen bekriegen, ausgrenzen und gegenseitig versuchen zu unterdrücken, frage ich mich, war das schon immer so? Wann kam der Punkt, wo dieses seltsame Tier, was sich von den Affen durch seinen aufrechten Gang unterschied, sich in Richtung des modernen Menschen entwickelte? Gab es verschiedene Menschenarten? Lief alles unweigerlich auf den heutigen modernen Homo Sapiens hinaus oder hätte die Geschichte auch anders ausgehen können? Wie lebten die ersten Menschen und wie hat sich die Art des Zusammenlebens mit der Zeit verändert? Ein paar dieser Fragen können wir heute beantworten. Für andere Antworten werden noch weitere wissenschaftliche Erkenntnisse benötigt.

Die ersten Menschenformen - oder waren es doch Arten? Es gab unsere Vorfahren in den verschiedensten Ausprägungen. Über zwei Dutzend verschiedene Homininen-Arten wurden bisher von Wissenschaftlern identifiziert. All diese frühen Menschen stammen ursprünglich vom Homo erectus ab. Mindestens vier, möglicherweise sogar sieben verschiedene Homininenformen lebten vor 50.000 bis 100.000 Jahren gleichzeitig. Zu diesen gehörten unter anderem der Homo sapiens (der moderne Mensch, der sich seit 300.000 Jahren von Afrika über die Welt ausbreitete), der Homo neanderthalensis (Verbreitung in Europa und Westasien), Denisovaner (der noch keine Artbezeichnung besitzt und vor allem in Asien lebte), Homo floresiensis (die von der Presse als “Hobbits” bezeichneten Menschen von der Insel Flores) und Homo luzonensis (dieser lebte auf der Insel Luzon, auf den Philippinen).²

2013 vertrat Harari noch die These, dass es sich tatsächlich um unterschiedliche Arten handelte und eine Fortpflanzung der verschiedenen Menschenarten miteinander wahrscheinlich gar nicht möglich war.¹ Neue Erkenntnisse zeigen, dass die Unterschiede zwischen den Homininengruppen nicht so groß waren, so dass es sich tatsächlich wohl nur um eine Menschenart gehandelt haben könnte - dem Homo sapiens. Funde beweisen, dass sich Neandertaler und Denisovaner mit dem Homo sapiens kreuzten. Fortpflanzung zwischen den verschiedenen Gruppen war somit durchaus möglich bzw. wahrscheinlich, was sich teilweise heute noch in unserem Genom zeigt.²

Wo sind all die Menschenformen geblieben? Dabei ist immer noch die Frage, waren alle diese frühen Homininen unsere Vorfahren? Hat der Homo sapiens sie alle verdrängt und umgebracht, wie Harari dies für wahrscheinlicher hält, oder sind die verschiedenen Gruppen in einer Menschenart, dem Homo sapiens, aufgegangen durch gemeinsame Fortpflanzung und Assimilierung? Neuere Forschungen zeichnen ein noch differenzierteres Bild.

Die Ökosystemproduktivität, also die Fähigkeit eines Lebensraums, Pflanzen und Tiere zu ernähren, spielte eine wichtige Rolle beim Überleben verschiedener Homininengruppen. In Gebieten mit wenig oder stark schwankenden Nahrungsressourcen hatten Neandertaler und andere frühe Menschen oft Probleme, stabile Populationen aufrechtzuerhalten. Dies machte sie anfälliger für lokales Aussterben.³

Interessanterweise zeigt die Forschung, dass in Regionen mit reichhaltigen und stabilen Nahrungsquellen Neandertaler und Homo sapiens länger nebeneinander lebten. In diesen Gebieten kam es wahrscheinlich zu einer allmählichen Vermischung der Gruppen. Schnelle Temperatur- und Vegetationsveränderungen (Dansgaard-Oeschger-Ereignisse) waren nicht die Hauptursache für das globale Aussterben der Neandertaler zwischen 50.000 und 35.000 Jahren, spielten aber regional eine wichtige Rolle, insbesondere in Nordeuropa.⁴

Wahrscheinlich ist, dass durch die Anwesenheit des Homo sapiens sich in manchen Gebieten indirekt der Druck auf die vorhandenen Ressourcen erhöht hat. Wenn man von einer effektiveren Nutzung der Ressourcen durch den Homo sapiens ausgeht, kann dies zu einer Belastung der ohnehin schon geschwächten Neandertaler-Gruppen geführt haben.⁴

Kleinere und voneinander isolierte Gruppen von Neandertalern waren besonders gefährdet. Sie konnten zufällige Schwankungen in ihrer Bevölkerungsgröße schlechter ausgleichen, was in einigen Regionen zu ihrem Aussterben führte.⁵

Es ist wichtig zu verstehen, dass das Verschwinden der anderen Homininenformen kein einheitlicher Prozess war. Es gab große Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen Europas, abhängig von den lokalen Umweltbedingungen und dem Zeitpunkt, zu dem der Homo sapiens dort ankam.³

Der Erfolg des Homo Sapiens Der Erfolg des modernen Menschen war wohl auch seiner Anpassungsfähigkeit zu verdanken. Er breitete sich schnell über die ganze Welt aus, auch in Regionen, die andere Homininen nicht erreicht hatten. Als Generalist konnte er eine Vielzahl von Ressourcen nutzen und in verschiedenen Lebensräumen überleben.⁶ Gleichzeitig entwickelte er spezialisierte Populationen, die sich an extreme Umgebungen wie Bergregenwälder oder arktische Gebiete anpassten.⁷

Weitere mögliche Vorteile könnten komplexe Kommunikation, abstraktes Denken oder besondere technische Fertigkeiten gewesen sein.² Harari fasste dies als die Kognitive Revolution zusammen, die nach seiner These ca. vor 70.000 Jahren stattfand. Weitere Forschungsergebnisse unterstützen die “Cultural Intelligence Hypothesis”, dass Menschen spezialisierte sozial-kognitive Fähigkeiten entwickelt haben, die über die allgemeinen Primaten-Fähigkeiten hinausgehen.⁸ Diese Fähigkeiten ermöglichen es Menschen, in kulturellen Gruppen zu leben und Wissen auszutauschen. Eine zentrale Fähigkeit ist die “Theory of Mind” - die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und zu verstehen, dass andere Menschen eigene Gedanken, Gefühle und Absichten haben. Dies ermöglicht es uns, das Verhalten anderer vorherzusagen und darauf zu reagieren.⁹

Eine weitere wichtige Fähigkeit ist die komplexe Kommunikation durch Sprache, die es uns erlaubt, abstrakte Ideen auszutauschen und gemeinsame Pläne zu schmieden.¹⁰ Diese Fähigkeiten entwickeln sich schon früh in der Kindheit. Studien haben gezeigt, dass bereits 2,5-jährige Kinder deutlich bessere sozial-kognitive Fähigkeiten haben als unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen und Orang-Utans. In Tests zur physischen Kognition schnitten die Kinder ähnlich ab wie die Menschenaffen, aber in sozialen Aufgaben waren sie weit überlegen.¹¹ Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Fähigkeit zur “geteilten Intentionalität” - das Verständnis, dass wir mit anderen ein gemeinsames Ziel verfolgen und jeder seinen Teil dazu beiträgt.¹² Dies ermöglicht es uns, Rollen in der Gruppe zu übernehmen und zu verstehen, wie unser individueller Beitrag zum Gesamtergebnis beiträgt.

Die menschliche Kooperation geht weit über das hinaus, was wir bei anderen Arten beobachten. Während beispielsweise Schimpansen in kleinen Familiengruppen zusammenarbeiten können, sind Menschen in der Lage, mit Fremden und in sehr großen Gruppen zu kooperieren.¹³ Dies hat es uns ermöglicht, komplexe Gesellschaften aufzubauen und Technologien zu entwickeln, die kein Individuum alleine hätte erschaffen können. Diese einzigartigen Fähigkeiten zur Zusammenarbeit haben sich wahrscheinlich in einem Prozess der kulturellen Evolution entwickelt.¹⁴ Gruppen, die besser kooperierten, waren erfolgreicher und konnten ihre Praktiken an nachfolgende Generationen weitergeben. So entstanden über die Zeit immer komplexere Formen der Zusammenarbeit, die auf unseren spezialisierten kognitiven Fähigkeiten aufbauen.

Wie hilft die Sprache beim Zusammenleben? Kommen wir zurück zum Thema Sprache. Neben der Kooperation war der Homo sapiens mit dieser Sprache nicht nur fähig, seine Artgenossen vor gefährlichen Tieren am Wasserloch mit einem Ruf zu warnen, sondern konnte ihnen die Tiere und das Wasserloch auch beschreiben und sogar Geschichten dazu erzählen. “Nur der Mensch kann über etwas sprechen, das gar nicht existiert, und noch vor dem Frühstück sechs unmögliche Dinge glauben. Einen Affen würden Sie jedenfalls nie im Leben dazu bringen, Ihnen eine Banane abzugeben, indem Sie ihm einen Affenhimmel ausmalen und grenzenlose Bananenschätze nach dem Tod versprechen. Auf so einen Handel lassen sich nur Sapiens ein.” (Harari, 2013, S. 37)¹ Und der Mensch kann tratschen und klatschen, was das Zeug hält. Denn nur, wenn man weiß, wem man in der Gruppe vertrauen kann, wer welche Fähigkeiten hat und wer mit wem gerade verbandelt ist, kann eine Gemeinschaft funktionieren, auf die man in den Zeiten von Jägern und Sammlern so sehr angewiesen war. Aber neben kleinen Gruppen kann Sprache und dadurch geteilte gemeinsame Glaubenskonstrukte wie Religion und Ideologien Menschen über den ganzen Erdball miteinander verbinden.

Gibt es Grenzen bei der Gruppengröße? Harari vertrat die These, dass Klatsch und Tratsch eine Gruppe von bis zu 150 Menschen miteinander verbinden kann.¹ Diese Anzahl entspricht der Dunbar-Zahl, welche die theoretische kognitive Grenze von etwa 150 stabilen sozialen Beziehungen beschreibt, die ein Mensch aufrechterhalten kann. Sie wurde vom britischen Anthropologen Robin Dunbar in den 1990er Jahren entwickelt und basiert auf der Annahme, dass die Größe des menschlichen Gehirns, insbesondere des Neokortex, diese natürliche Begrenzung für soziale Interaktionen schafft.

Eine neuere Studie von Lindenfors et al. (2021) zeigt, dass diese Zahl statistisch nicht haltbar ist und je nach Berechnungsmethode stark variieren kann, wobei die Konfidenzintervalle zu groß sind, um eine zuverlässige Grenze zu bestimmen.¹⁵ Konfidenzintervalle sind in der Statistik ein Bereich von Werten, in dem mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit der wahre Wert einer unbekannten Größe liegt. Sie geben an, wie zuverlässig eine Schätzung ist und helfen uns zu verstehen, wie sicher oder unsicher wir uns bei einer statistischen Aussage sein können. In der Studie wurde die wissenschaftliche Grundlage der Dunbar-Zahl untersucht, wobei keine zuverlässige Bestätigung für eine feste kognitive Grenze der Gruppengröße gefunden wurde. Kritisiert wird die Annahme, dass menschliche Sozialfähigkeiten einfach aus dem Hirnvolumen abgeleitet werden können und kulturelle Faktoren vernachlässigt werden. Stattdessen beeinflussen Umweltfaktoren wie Nahrungsangebot und Raubtiere die Sozialität von Primaten stärker.

Die Debatte um die Dunbar-Zahl zeigt, dass die Frage nach der maximalen Größe stabiler sozialer Gruppen komplex ist und nicht auf eine einfache Zahl reduziert werden kann. Dennoch beobachten Sozialwissenschaftler, dass Gruppen ab einer gewissen Größe tatsächlich Schwierigkeiten haben, Zusammenhalt und effektive Kommunikation aufrechtzuerhalten, was auf die Grenzen von Klatsch und Tratsch als Kohäsionsmechanismen hinweist. Für größere Gruppen werden daher oft zusätzliche Strukturen wie Hierarchien, formelle Regeln oder gemeinsame Ideologien benötigt, um Stabilität zu gewährleisten. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Funktionsfähigkeit von Gruppen weniger von einer festen kognitiven Grenze abhängt, sondern vielmehr von der Fähigkeit, effektive soziale Mechanismen und Strukturen zu entwickeln, die den Zusammenhalt auch in größeren Gemeinschaften fördern können.

Wir vs. Die Anderen Bevor wir noch einen Blick darauf werfen, wie größere Gruppen zusammengehalten werden, wollen wir uns kurz der Studie “Gossip about in-group and out-group norm deviations” widmen.¹⁷ Diese untersuchte, wann und warum Menschen über Normabweichungen (positives und negatives Verhalten) innerhalb der eigenen Gruppe (In-Group) und fremden Gruppen (Out-Group) tratschen. Generell tratschen Menschen lieber über Normabweichungen als über normales Verhalten. Allerdings halten sich Menschen zurück, wenn es darum geht, mit Mitgliedern einer fremden Gruppe über negatives Verhalten in der eigenen Gruppe zu tratschen, vermutlich um das eigene Gruppenimage zu schützen. Die Motive für den Tratsch variieren stark je nach Art der Normabweichung und den beteiligten Gruppen. Die Ergebnisse zeigen, dass Tratsch eine wichtige soziale Funktion erfüllt, indem er Normen verstärkt, das Gruppenimage schützt und Informationen über das Verhalten anderer verbreitet - selbst über Gruppengrenzen hinweg. Schon bei Klatsch und Tratsch sieht man, dass der Schutz der eigenen Gruppe im Vordergrund steht. Aber woher kommt das?